Category Archives: Observing daily life

Abschied von einem Freund.

Mein geliebter Aquarellkasten,

Heute ist der Tag gekommen, an dem ich dich mit blutendem Herzen und schwerem Gemüt zurücklasse. Drei deiner wichtigsten Farben sind leer und es ist nun an der Zeit, dich durch einen – immerhin auch russischen – Nachfolger zu ersetzen. Wie du weißt, ist dies ein furchtbar wehmütiger Augenblick für mich. Aber für alle außer uns beide ist es vermutlich schwer nachzuvollziehen, wie du mir so wichtig hast werden können.

Weißt du noch?  Vor ziemlich genau 4 Jahren habe ich dich für 30 Som (0,50€) in einem winzigen Magazin in Baetov, Kirgistan, gekauft. Weil mir deine stiftförmigen „Aquarell“brüder nicht mehr gereicht haben, um mich auszudrücken. Ich wollte weiter! Wenige Tage später habe ich dann mein erstes Bild mit deinen Farben (und chinesischen Kosmetikpinseln) im schneidenden Wind von der umwerfend schönen Song-Kul-Hochebene, ihren Bergen und Jurten gemalt.

Dieses Bild war nicht nur mein erstes richtiges Aquarell (und ist später sogar Motiv meiner Visitenkarte und Markenzeichen geworden). Als es fertig war, habe ich es in der untergehenden Bergsonne lange betrachtet. Und das war der Moment, in dem ich einen für mein Leben bedeutsamen Entschluss gefasst habe. Den Entschluss, endlich den Traum wahr zu machen, der schon seit meinen Kindertagen, trotz diverser Ablehnungen an Kunsthochschulen und einem darauffolgenden ganz anderen Studium, nie aufgehört hat in mir zu brodeln. In jenem Moment, mit DIR auf meinem Schoß, habe ich unumstößlich beschlossen: ICH WERDE KÜNSTLERIN! Koste es was es wolle.

Dieser Entschluss liegt nun vier Jahre zurück. Und inzwischen gibt mir mein Umfeld das Gefühl, mich zu Recht Künstlerin ohne Anführungsstriche zu nennen. Ich darf in der Künstlersozialkasse sein, habe einige Ausstellugen gemacht, bekomme Aufträge und verdiene sogar tatsächlich einen Teil meines Unterhalts durch die bildliche Kunst, an die ich durch dich zum ersten Mal WIRKLICH geglaubt habe. Ja, mit dir – und vielleicht nur durch dich – bin ich zur Künstlerin geworden! Du warst ein wichtiges Puzzleteil, das zum Bild meiner jetzigen Identität beigetragen hat.

Die zu verwirklichen hat mich tatsächlich einiges gekostet. Meinen „gesunden“, als „normal“ betrachteten Rhythmus und Lebensstil, der mich von einem Großteil meines sozialen Umfelds distanziert, bedeutsame zwischenmenschliche Beziehungen die kaputtgingen und immer wieder viel, viel Kraft, Hadern, Zweifel und Leiden. Was wohl alles zum Künstlerdasein dazugehört…. Du weißt, das es weiß Gott nicht immer einfach ist. Aber meistens wunderschön und oft ertrinke ich sogar fast in Dankbarkeit über dieses Dasein. DU hast alle dieser Stimmungen kennengelernt…

Vier Jahre lang habe ich dich benutzt und du hast mich immer treu begleitet. Durch Tiefen und Höhen, Freizeit und Arbeit, durch meinen Alltag und meine Reisen. Durch viele Orte Deutschlands, Schottlands, Englands, durch Ungarn und sogar bis in den Fernen Osten Sibiriens! Viele Menschen konnte ich mit Bildern erfreuen, die durch dich entstanden sind. Und wie oft hast DU MICH erfreut! Hast mir das Gefühl gegeben, nicht einsam zu sein, jemanden bei mir zu haben, der mich kennt, der mich wortlos versteht. Und du hast mir das Gefühl gegeben JEMAND zu sein. Jemand, der inzwischen nicht mehr ganz so verloren in der Welt ist, sondern einen Platz darin gefunden hat. Durch dich. Denn du hast mir stets Selbstvertrauen gegeben und Sicherheit. Was du mit meinem Leben gemacht hast, ist unglaublich!

Ich werde dich nie vergessen und dir für immer dankbar sein, du kleines kirgisisches Stück Plastik.

Nachtluft. Oder: Liebe.

Unterwegs warst du.

Hast kühle Nachtluft für Stunden

durchwandert und erkundet,

Büsche und Wiesen durchstreift,

Orte, von denen ich nichts weiß.

 

Du erzählst nichts über sie

und ich frage nicht.

Du bringst sie nur mit,

wenn du nach Hause kommst,

wenn in deinem Fell der Geruch von draußen hängt.

 

Du schmiegst dich an mich

und suchst Wärme,

Zuneigung und Zärtlichkeit,

und ich sitze hier, bereit sie dir zu geben,

um heimlich im Gegenzug

deinen Geruch von kühler Nachtluft einzuatmen,

von Orten, an denen ich nicht gewesen bin,

die du mir mitbringst.

 

Und dann sitzen wir beide,

glücklich für einen magischen Augenblick,

miteinander und genießen die unerzählten Geschichten des anderen.

 

Und dann gehst du wieder,

so wie du gekommen bist

und hinterlässt mich,

so wie ich hier saß.

Denn du hast zu entdecken.

Und ich zu arbeiten.

Ausstellung Bremen Vegesack

“Geprägt durch ihre vielen Reisen und einen einjährigen Aufenthalt in Asien hat die Künstlerin einen ganz anderen Blick auf unsere Gesellschaft mit ihren Begehren, Normen und Emotionen bekommen. Die gewonnenen Perspektiven und Fragestellungen kommen in Bildern, Objekten und Skulpturen zum Ausdruck.”

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Reviews:

Die Norddeutsche:

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Das BLV:

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Ach, Görlitz

Es gibt keinen anderen Ort wie dich.

Du bist jedes Mal dasselbe. Und doch jedes Mal wieder anders. Du bist eine Konstante, eine nostalgisch unveränderbare Heimat, in die ich als immer wieder neuer Mensch, von immer wieder neuen Standpunkten aus, zurückkehre.

Du machst mit mir jedes Mal etwas Neues. Obwohl ich in dir alt geworden bin. Du bewegst mein Herz, im stillen Schein der Laternen. Weil es in dir zu schlagen begann. Weil Du wie kein anderer Ort zum Fühlen inspirierst.

Du bringst mich jedes Mal zurück. Und ein Stück weiter. Du fängst mich auf und erinnerst mich. Wer ich mal war, wer ich bin. Du zeigst mir, dass ich wieder ein Stück gewachsen bin. Und doch immernoch Dieselbe.

Denn ich bin in dir gewachsen und Du wurzelst tief. In meiner Seele, in meinem Gefühl. Du bist Konstante und Reflexionspunkt, bist Referenzpunkt. Für mein Leben. Dessen Vergänglichkeit und Eckpfeiler ich an dir wiederentdecke. Du rufst wach, was bedeutsam ist. Lässt es mich in deiner nächtlichen Leere wiederfinden.

Görlitz, du holst mich zurück. Immer wieder.

Zu wertvollen Menschen. Zu schönen Erinnerungen meines Seins. Zu mir selbst.

Danke.

Danke Görlitz. Danke Menschen.

Ausstellung human. emotionen. absurditäten.

Ausstellung Human. Emotionen. Absurditäten. Janina Mau

„…Und dann bin ich ein Jahr durch Asien gereist. (…) Aber mit meiner Rückkehr hat mich eine der schwierigsten Phasen meines Lebens erwartet: Das wieder-Ankommen. In meiner Heimatkultur, in Deutschland. Ich habe gestrauchelt mit all dem Luxus hier, der es allein nicht bringt. Was früher normal für mich gewesen war, war mir plötzlich fremd. – Eine Kultur In der so vieles so durchstrukturiert und wohlorganisiert ist, von so extremem, aber unbewussten Wohlstand, der selten richtig wertgeschätzt wird. Ein Land, in dem Menschen selten wirklich glücklich sind mit dem, was sie haben. Und wir haben verdammt viel!

Durch diese Asienreise und mein ganzes vieles Rumgereise, habe ich einen anderen Blick auf unser alltägliches Leben und unsere Gesellschaft bekommen, der oft sarkastisch oder auch bissig ist. Der sich meist kritisch mit unserem Wohlstand, unseren Gewohnheiten, Erwartungen und Forderungen auseinandersetzt. Und der unsere Begehren, Emotionen und Normen hinterfragt.

Ich bin inzwischen angekommen. Aber ich empfinde immernoch – und werde es wahrscheinlich immer – viele Dinge und Gefühle, die wir als elitäre, westliche Gesellschaft haben und die wir als Selbstverständlichkeiten empfinden, als paradox und oft vollkommen absurd. (….) Und das ist die Geschichte dieser Ausstellung: Human. Emotionen. Absurditäten.“

Human. Emotionen. Absurditäten. In der Kunstbar Bremen
Human. Emotionen. Absurditäten. 25.03.-16.04.16 in der Kunstbar Bremen

Wealth

Beards with men – a victim`s view on facial hair

To all men out there who have not started to grow a beard yet: Don`t start! To those who recently have: Stop it. Right now! Stop the growth. We do have plenty of beards now! (To those few who already had beards before the big hype: You are allowed to keep them.)

Of course, guys, it is no question, they are the most sexy thing e.v.e.r. about men. But all of you now suddenly realizing it still doesn`t make it a must-have for everyone! Beard-beginners, you are too late! Don`t bother to get started now. Evolution went on. Women are not used to so much visual sexiness. It`s meant to appear in small doses only. We can`t cope with it.

Did you ever take a break to think about what it does to us? Do you even know how many women secretly suffer from uncontrolled sweating, speechlessness, fainting and other psychological based physical threats? Imagine the majority of us walking around naked! Tossing our long hair over skinny shoulders and our bare, sunlit breasts. How would that feel, huh? Yea, probably you`re smiling now, childishly wishing for it to be true! But I bet after the first excited week you`d get pretty annoyed by getting distracting fantasies and a hard on at every. single. corner.

Also, guys, this one-type-restriction doesn`t really fit into the free market economy. We get to decide from over 30 types of toothpastes but only between beard, beard and … beard? (And, well, some without any.) What happened to all the variety? It`s not fair. It`s not clever. From the marketing point of view it gets pretty boring, for us. For you it gets pretty exciting now though. Suddenly there`s beard wash and beard oil and beard combs and beard conditioner and beard everything! I do understand you are getting tempted. But despite what media tells you, beards are still not an appropriate accessory for everyone. A beard is meant to show the man. Not the other way round.

Some time ago there were some men with beards. You knew what you got with a man with a beard, back then. They were men who didn`t give a shit about skin care or their online reputation. They were men who didn`t have facebook. They were men who had landline phones, which they were strong enough to let unanswered sometimes. And they were men who loved to spend their time outside in the woods, who went camping and rented rowboats for a laugh. They were men who didn`t have hay-and-milk-and-gluten-and-cat-and-whatever-allergies! They were men who knew how to make a proper bonfire. And they were men who had a secret blanket for a woman when it got chilly.

Nowadays there are thousands of beards with men. There are thousands of beards on top of suits, beards on full wifi, beards on expensive-gluten-free-smoothies, beards on crammed tubes chatting on headsets, on whatsapp, on instagram. They are urban indoor beards. They are beards who never rest, beards who have never made a bonfire. And they are beards whose brains have been too busy to think of a blanket for the woman when it gets chilly.

Beards forget the men they hang on nowadays. And we women are left in a cold heavy sexy rain shower of too much facial hair, that looks all tempting but only on the rarest occasions meets the expectations we have of men with beards. Where are the male beings to collect bonfire wood with? To cuddle up to under the blanket when it gets chilly? (In peace and silence and romance.) You know, we are still wishing for proper knights, bandits, princes, taking us far away on horses, no matter if they have beards or not. But it seems we are mostly left helplessly in a modern world of assholes hiding behind fashionable face-haircuts, pretending to be what most of them aren`t. Please, men, be yourself! Conquer our hearts with honesty, not with beards! Don`t let you get carried away by a trend. Don`t show what you don`t have. Think twice (at least!) if a striking bunch of hair is really necessary for you or if you still know other ways to impress us. Please, stop being so boring by relying on your beards. And, please, for fuck`s sake, stop being so goddamn sexy!

Abenteuer Müllsammeln. Lieber gefunden als überflüssig.

Discounter sind ja der Tod von allem. Ist ja bekannt. Der Tod vom gesunden Preis-Leistungs-Gefühl, von guter Sitte und Ethik, von Bescheidenheit und Qualitätssensibilität, von unzähligen unglücklichen Schweinen und nicht zuletzt immer wieder auch von armen Menschen in fernen Ländern. Sperrmüll hingegen ist gut. Sperrmüll töten niemanden. Meistens jedenfalls. Seitdem Müll als Recyclingmaterial etwas wert ist, kleben – zumindest vor freistehenden Kleinbürgerhäusern auf dem Lande – gerne diese roten Zettel an rausgestellten halbdefekten Kühlschränken und brüchigen Keramikkübeln. Darauf steht: „Eigentum des Abfallunternehmens ASO Kreis Osterholz. Mitnahme verboten!“ – oder so ähnlich. Vielleicht auch noch etwas anderes, denn eigentlich lese ich diese Zettel nicht so genau. Genaugenommen ignoriere ich sie gerne, wenn ich mein Auto nachts leise auf mondscheindunklen Straßen parke um schnell und heimlich ein paar marode Haushaltsgegenstände wegzuschleppen, einzuladen und mich dann mit quietschenden Reifen breit grinsend wie ein Held fühle, davongekommen zu sein. Ha! Mich kriegt ihr nicht. Jedenfalls bis neulich nicht, als ich vertieft halb im Müllhaufen verschwunden war und dabei nicht gehört hatte, dass sich ein Bauer mit seiner Forke herangeschlichen hatte, bis er brüllte „Hey! Was soll denn das werden? Kommen Sie mal ganz schnell da raus!“ Da ich im dunklen nicht so gut argumentieren kann – vor allem nicht mit Menschen, die Müllmitnahme als illegale Aktivität ansehen – sprang ich aus dem Haufen und hielt wegrennen für das Beste. In seiner Rechtsauffassung bestärkt, rannte mir der Mann in seinen Gummistiefeln natürlich speerschwingend hinterher, aber Ha! Mich kriegt ihr nicht! I am the queen of getting by on the cheap. Und meistens funktioniert das auch ganz reibungslos.

Noch besser als Zufallsfunde sind nur geplante Plünderaktionen. Meine Müllsammelaktivitäten haben inzwischen professionelle Züge angenommen, sind längst kein Zufallsprodukt mehr, sondern werden gezielt angesteuert. So wie viele andere junge Menschen, die sich in rotzigen Turnschuhen gegen den Wohlstand verschworen haben, es heutzutage auch tun; sie sind vernetzt und sprechen sich ab. Somit groove ich also geradewegs auf einer Nebenspur des Sharing-Hypes vor mich hin. Wobei meine Strategie weniger das Teilen, als das schlichte an mich Reißen ist: Müllsammeln nach Flohmärkten! Flohmärkte sind ja oftmals gruselige Frauenklischees, in die hilflose Männer, loyal wie sie sind, mit hineingezogen werden: Übertöpfe gucken! Ooh, guck mal ist der schön! Für einen Mann gibt es wohl kaum etwas langweiligeres als Übertöpfe. Aber zur Endzeit der Veranstaltung aufkreuzen und nehmen, was übrig bleibt, ist für beide Geschlechter toll. Manchmal beobachte ich, wie ein regelrechtes Bonding stattfindet, wenn ein Pärchen gemeinsam kopfüber in einer Mülltonne hängt und entscheidet, was für die gemeinsame Wohnung noch gebraucht wird oder nicht. Solchen Paaren lasse ich dann doch immer, romantisch mitfühlend, den Vortritt zu Tonne oder Haufen. Was nach Flohmärkten weggeschmissen wird, ist eine beschämende Menge brauchbaren Zeugs. Zu den Schmuckstücken meiner letzten Funde gehörten eine Sackkarre, eine Hängematte, ein Tisch, ein roter Mantel – alles Dinge, die hervorragend in Lücken passten, die mein Hausstand noch zu füllen hatte. Und was ich wirklich nicht brauche, kann weitergegeben werden. Alles besser als wegschmeißen.

Das allerbeste am Müllsammeln ist allerdings, dass einem die Entscheidungen der Überflussgesellschaft abgenommen werden. Vor ein paar Tagen bin ich in der Waterfront – Bremens hipstes Einkaufzentrum – an gefühlten 3 Kilometern Glasscheiben vorbeigelaufen, die im Grunde alle dasselbe zeigen: Mit (teilweise viel) Geld zu erwerbendes vermeintlich gutes Aussehen für Menschen oder Wohnraum. Diese Fenster machen mit mir genau drei Dinge: Sie wecken in mir Bedürfnisse, die ich eigentlich gar nicht habe, sie überfordern mich gedanklich mit potentiellen Entscheidungen, die ich ohnehin nicht treffen werde und sie stoßen mich ab wegen der beiden ersten Gefühle. Als ich meine Begierde wieder unter Kontrolle und mich aus dem Sog der bunten Glitzerwelt befreit hatte, habe ich mich in meinem roten Flohmarkt-Müllhaufen-Mantel in einem der Schaufenster betrachtet und war zufrieden mit dem, was ich sah, aber vor allem glücklich darüber, dass ich durch diesen Fund keine Entscheidung hatte treffen müssen. Der Mantel passte zu mir, sah gut aus und er hatte mich gefunden. Nun besaß ich eben ihn statt einem anderen aus diesen endlosen Fenstern. Warum sollte es komplizierter sein? Und warum sollte man für etwas bezahlen, das sich im Überfluss von den Bäumen pflücken lässt?

Vielleicht weil es Läden wie DEPOT gibt. Hallen von Teufelswerk. Weil jede Frau, die durch dessen gläsernen Tore tritt entweder einen unmenschlichen Willen von Eisen oder einen vorangegangenen Portemonnaiediebstahl braucht, um dort leerhändig wieder rauszukommen. Dieses schreckliche Gefühl, alles plötzlich zu brauchen, diese Schmacht, alles plötzlich schön und schnuckelig zu finden, ist, fürchte ich, wieder mal Frauensache. Männer haben andere Probleme. Eines davon sind zum Beispiel Frauen, die sie zu DEPOT schleppen. Unglücklich und völlig fehl am Platze stehen sie zwischen den bunten Geschenkschleifenspulen und Glasperlendöschen und gucken sich verzweifelt nach irgendetwas Interessantem um. Sie finden nichts. Verkrampft klammern sie sich also an die vielen vollen Einkaufstüten ihrer Frauen. In solchen Läden besteht ihr einzig sinnvoller Zweck darin, diese Tüten zu tragen, um sich in diesem Meer aus Überflüssigem nicht noch überflüssiger zu fühlen. Irgendwann erreicht der bettelnde Blick nach Hause zu gehen durch den Wasserlilienvorhang dann doch das Herz der Frau. Sie stellt seufzend ein rosa Glafläschchen wieder ins Regal und hakt sich in den freien Arm ihres Mannes unter.

Gut, dass Männer uns Frauen rechtzeitig aus Dekoläden betteln. Gut, dass besonders verlockende Einkaufszentren oft an den Peripherien der Städten liegen. Gut, dass viele Menschen erkannt haben, dass neu nicht immer besser ist. Und gut, dass ich auf dem letzten Flohmarkt eine Heugabel gefunden habe, mit der ich dem nächsten Sperrmüllmuffel nun Gegenwehr bieten kann. Es lebe das Abenteuer Müllsammeln!

Prioritäten – Scherben auf dem Badezimmerfußboden

Seit zweieinhalb Tagen – also ungefähr 35 mal Pinkeln – starre ich jedes mal, wenn ich auf der wackligen Klobrille sitze, die zerfransten Ränder eines Glases und seine fortgeschleuderten Scherben auf dem Badezimmerfußboden unter dem Waschbecken an. Auch wenn ich zum Zähneputzen, Händewaschen, Haarebürsten, Wasserholen, Tasseausspülen oder Abwaschen hereinkomme, funkeln sie mir entgegen.

Zur Zeit läuft alles, das mit Flüssigkeiten zu tun hat, durch das Badezimmer. Es ist der einzig funktionierende Wasseranschluss. Da passiert es schon mal, dass beim Abwaschen aus der Hocke vom schmalen Rand der Duschwanne ein Glas abrutscht. Es ist nur das allerletzte, das man in so einer provisorischen Gesamtsituation gebrauchen kann! Deshalb liegt es immernoch dort und glitzert unberührt vor sich hin. Obwohl ich den manchmal stärkeren, manchmal schwächeren Impuls es wegzuräumen nicht leugnen kann, hat dieses kaputte Glas in genau dem Moment, als es klirrend auf seinem neuen Platz zu liegen kam, seinen Rang auf der Prioritätenliste zugeteilt bekommen. Das muss es, wie auch ich, akzeptieren.

Im Grunde funktioniert hier alles wie in einem Amt: Wenn jemand hereinkommt, der etwas will, zieht er eine Nummer und muss sich – egal wie dringlich das Anliegen zu sein scheint – gedulden, bis er an der Reihe ist. Andere waren vor ihm da. Die traurige Gastherme, die aus allen Löchern rostet, das modrige Holz, das vor Feuchtigkeit hustet, der Stromversorger, der am Wochenende telefonfrei hat – sie alle guckten nur kurz gelangweilt von ihren Wartesitzen auf, als das Glas hereingescheppert kam. „Hups, tschuldigung“ stammelte der Scherbenhaufen verlegen und setzte sich leise auf seinen Platz mit dreistelliger Wartenummer. Alle anderen sitzen schon lange dort.

Natürlich gibt es hier einen Schalter für Notfälle: Kotzende Katzen, Funkenflug vorm Ofen, kollabierende Wände und Trockenholzanlieferung bei Hagelschauer – also existenzielle Happenings – werden immer mit erhöhter Priorität behandelt. Dennoch, auch sie der Reihe nach. Sachbearbeiter von flinkem Verstand stellen dafür zu jeder Stunde ihr logisches Blitzabwägen unter Beweis: Ruinieren Katzenkotze oder Glutklumpen schneller den Fußboden? Tragen intakte Fensterdichtungen oder Schamottsteine im Ofen schneller zu überlebenstauglicher Raumtemperatur bei? Und dann müssen sie schnelle und richtige Handlungen einleiten.

Jedenfalls muss das kaputte Glas mit seinem Papierwartenümmerchen in der Hand seufzend feststellen, dass es keine Chance hat, annähernd mit Schimmelflecken oder Stromausfällen zu konkurrieren und wohl noch eine ganze Weile auf den kalten Kacheln vor sich hin glitzern muss, bis seine Zeit gekommen und es an der Reihe ist.

Sonnenscheinillusionen. Sitzenbleiben ist realistisch

Schönes Wetter wühlt mich auf, hetzt mich. Anders als das sichere beständige Grau in dem nichts Eile hat.

Quietschfröhlicher Sonnenschein trägt die Stimme meiner Mutter. „Ich versteh´ gar nicht, wie du bei solch einem Wetter drinnen sitzen kannst!“ Doch ich verstehe nicht, wieso schönes Wetter für andere plötzlich ein Zwang zum Rausgehen ist. Dinge zu tun, die man sonst auch nicht tut.

Die hellen Strahlen gucken mich erwartungsvoll an, wie eine aufgebrezelte Freundin, betteln aufgeregt „Nun komm schon, komm schooon!“ Sonnenbefleckte Blätter zappeln und jauchzen „Komm, mach mit!“ Unangenehme Eile frisst sich in meine Zufriedenheit. Ich bin schwach für Erwartungen, will immer Folge leisten. Ja, ich komme schon. Obwohl ich gar nicht weiß wohin und warum.

Ich bleibe sitzen. Einen Moment lang gehen mein Gewissen und die Stimme meiner Mutter gemeinsam potentielle Schönwettertätigkeiten durch. Dann tragen mich die sanft zwischen Licht und Schatten wehenden Halme fort. Zu einer Kette von Kitschbildern, die an Sonnennachmittagen entstanden sind. Zu Hollywoodhappyendszenen mit dramatischem Orchesterklang. An ferne Orte in herzzerreißendem Abendlicht, die ich niemals erreichen würde, selbst wenn ich sofort losrannte.

Sonnenscheinillusionen. Sehnsucht. Seufzen. Sitzenbleiben ist nichts Schlechtes. Sitzenbleiben ist nur realistisch. Das Jauchzen der Sonnenflecken aushalten. Überzeugung finden, sein zu dürfen ohne tun zu müssen.

Aufbruch – Magische Muster unter weißem Staub

Langsam bewegt der Fensterrahmen sich im Hauch des Nachtwindes vor und zurück. Manchmal kommt er der leeren Bierflasche bedrohlich nahe. Doch sie scheinen Respekt vorenander zu haben – unausgesprochenes Einvernehmen. Jeder lässt den anderen sein.

Zerknautschte Tücher liegen auf der staubigen Tischplatte, dahingeworfen mitten im Tun, nicht wieder angefasst, weil etwas anderes gerade wichtiger war. In die Staubschicht auf dem Tisch sind Muster gezeichnet – Muster, die beim Hinschauen zu Bewegung erwachen. Der verwackelte Rand einer Flasche, lachend abgestellt, hastig wieder aufgenommen. Die Aufmerksamkeit lag bei etwas anderem, hat den Raum mit Energie erfüllt.

Große, klare Kreise sind gemalt – weiße Eimer standen auf den Spuren, in denen jemand mit einem Stab Masse geschlagen hat. Schweiß und Musik liefen dabei. Ein bisschen Staub rieselt auf den Boden. Der Nachtwind grinst verschmitzt. Müde Imbusse verschiedener Dicke liegen schweigend in einer Kiste und ruhen sich unter einem Hauch weiß aus. Wer weiß, wann das nächste mal jemand nach ihnen greifen wird. Wer weiß, wann sie wieder zu tun haben werden.

Der Rand der gelben Spritzflasche lässt in der Ecke des Zimmers leise einen Tropfen fallen. Er sickert in einen Putzbrösel, der neben vielesgleichen auf dem Laminat gedöst hat. Niemand stört sich. Verschlafen blinzelt er hinüber zu dem erschöpften Staubsauger, dessen silbernes Rohr im fahlen Licht glänzt.

Sie alle haben heute hart gearbeitet. Und dabei nichts beanstandet. Sie haben funktioniert. Haben getan, was von ihnen erwartet wurde. Haben Gelächter und Frohsinn aufgesaugt und eine gute Behandlung erfahren. Nun schlafen sie alle, nebeneinander, wissend, dass sie wertvoll sind, wertgeschätzt werden. Zufrieden ziehen sie die Decke aus Staub noch etwas höher und träumen von morgen.