Abenteuer Müllsammeln. Lieber gefunden als überflüssig.

Discounter sind ja der Tod von allem. Ist ja bekannt. Der Tod vom gesunden Preis-Leistungs-Gefühl, von guter Sitte und Ethik, von Bescheidenheit und Qualitätssensibilität, von unzähligen unglücklichen Schweinen und nicht zuletzt immer wieder auch von armen Menschen in fernen Ländern. Sperrmüll hingegen ist gut. Sperrmüll töten niemanden. Meistens jedenfalls. Seitdem Müll als Recyclingmaterial etwas wert ist, kleben – zumindest vor freistehenden Kleinbürgerhäusern auf dem Lande – gerne diese roten Zettel an rausgestellten halbdefekten Kühlschränken und brüchigen Keramikkübeln. Darauf steht: „Eigentum des Abfallunternehmens ASO Kreis Osterholz. Mitnahme verboten!“ – oder so ähnlich. Vielleicht auch noch etwas anderes, denn eigentlich lese ich diese Zettel nicht so genau. Genaugenommen ignoriere ich sie gerne, wenn ich mein Auto nachts leise auf mondscheindunklen Straßen parke um schnell und heimlich ein paar marode Haushaltsgegenstände wegzuschleppen, einzuladen und mich dann mit quietschenden Reifen breit grinsend wie ein Held fühle, davongekommen zu sein. Ha! Mich kriegt ihr nicht. Jedenfalls bis neulich nicht, als ich vertieft halb im Müllhaufen verschwunden war und dabei nicht gehört hatte, dass sich ein Bauer mit seiner Forke herangeschlichen hatte, bis er brüllte „Hey! Was soll denn das werden? Kommen Sie mal ganz schnell da raus!“ Da ich im dunklen nicht so gut argumentieren kann – vor allem nicht mit Menschen, die Müllmitnahme als illegale Aktivität ansehen – sprang ich aus dem Haufen und hielt wegrennen für das Beste. In seiner Rechtsauffassung bestärkt, rannte mir der Mann in seinen Gummistiefeln natürlich speerschwingend hinterher, aber Ha! Mich kriegt ihr nicht! I am the queen of getting by on the cheap. Und meistens funktioniert das auch ganz reibungslos.

Noch besser als Zufallsfunde sind nur geplante Plünderaktionen. Meine Müllsammelaktivitäten haben inzwischen professionelle Züge angenommen, sind längst kein Zufallsprodukt mehr, sondern werden gezielt angesteuert. So wie viele andere junge Menschen, die sich in rotzigen Turnschuhen gegen den Wohlstand verschworen haben, es heutzutage auch tun; sie sind vernetzt und sprechen sich ab. Somit groove ich also geradewegs auf einer Nebenspur des Sharing-Hypes vor mich hin. Wobei meine Strategie weniger das Teilen, als das schlichte an mich Reißen ist: Müllsammeln nach Flohmärkten! Flohmärkte sind ja oftmals gruselige Frauenklischees, in die hilflose Männer, loyal wie sie sind, mit hineingezogen werden: Übertöpfe gucken! Ooh, guck mal ist der schön! Für einen Mann gibt es wohl kaum etwas langweiligeres als Übertöpfe. Aber zur Endzeit der Veranstaltung aufkreuzen und nehmen, was übrig bleibt, ist für beide Geschlechter toll. Manchmal beobachte ich, wie ein regelrechtes Bonding stattfindet, wenn ein Pärchen gemeinsam kopfüber in einer Mülltonne hängt und entscheidet, was für die gemeinsame Wohnung noch gebraucht wird oder nicht. Solchen Paaren lasse ich dann doch immer, romantisch mitfühlend, den Vortritt zu Tonne oder Haufen. Was nach Flohmärkten weggeschmissen wird, ist eine beschämende Menge brauchbaren Zeugs. Zu den Schmuckstücken meiner letzten Funde gehörten eine Sackkarre, eine Hängematte, ein Tisch, ein roter Mantel – alles Dinge, die hervorragend in Lücken passten, die mein Hausstand noch zu füllen hatte. Und was ich wirklich nicht brauche, kann weitergegeben werden. Alles besser als wegschmeißen.

Das allerbeste am Müllsammeln ist allerdings, dass einem die Entscheidungen der Überflussgesellschaft abgenommen werden. Vor ein paar Tagen bin ich in der Waterfront – Bremens hipstes Einkaufzentrum – an gefühlten 3 Kilometern Glasscheiben vorbeigelaufen, die im Grunde alle dasselbe zeigen: Mit (teilweise viel) Geld zu erwerbendes vermeintlich gutes Aussehen für Menschen oder Wohnraum. Diese Fenster machen mit mir genau drei Dinge: Sie wecken in mir Bedürfnisse, die ich eigentlich gar nicht habe, sie überfordern mich gedanklich mit potentiellen Entscheidungen, die ich ohnehin nicht treffen werde und sie stoßen mich ab wegen der beiden ersten Gefühle. Als ich meine Begierde wieder unter Kontrolle und mich aus dem Sog der bunten Glitzerwelt befreit hatte, habe ich mich in meinem roten Flohmarkt-Müllhaufen-Mantel in einem der Schaufenster betrachtet und war zufrieden mit dem, was ich sah, aber vor allem glücklich darüber, dass ich durch diesen Fund keine Entscheidung hatte treffen müssen. Der Mantel passte zu mir, sah gut aus und er hatte mich gefunden. Nun besaß ich eben ihn statt einem anderen aus diesen endlosen Fenstern. Warum sollte es komplizierter sein? Und warum sollte man für etwas bezahlen, das sich im Überfluss von den Bäumen pflücken lässt?

Vielleicht weil es Läden wie DEPOT gibt. Hallen von Teufelswerk. Weil jede Frau, die durch dessen gläsernen Tore tritt entweder einen unmenschlichen Willen von Eisen oder einen vorangegangenen Portemonnaiediebstahl braucht, um dort leerhändig wieder rauszukommen. Dieses schreckliche Gefühl, alles plötzlich zu brauchen, diese Schmacht, alles plötzlich schön und schnuckelig zu finden, ist, fürchte ich, wieder mal Frauensache. Männer haben andere Probleme. Eines davon sind zum Beispiel Frauen, die sie zu DEPOT schleppen. Unglücklich und völlig fehl am Platze stehen sie zwischen den bunten Geschenkschleifenspulen und Glasperlendöschen und gucken sich verzweifelt nach irgendetwas Interessantem um. Sie finden nichts. Verkrampft klammern sie sich also an die vielen vollen Einkaufstüten ihrer Frauen. In solchen Läden besteht ihr einzig sinnvoller Zweck darin, diese Tüten zu tragen, um sich in diesem Meer aus Überflüssigem nicht noch überflüssiger zu fühlen. Irgendwann erreicht der bettelnde Blick nach Hause zu gehen durch den Wasserlilienvorhang dann doch das Herz der Frau. Sie stellt seufzend ein rosa Glafläschchen wieder ins Regal und hakt sich in den freien Arm ihres Mannes unter.

Gut, dass Männer uns Frauen rechtzeitig aus Dekoläden betteln. Gut, dass besonders verlockende Einkaufszentren oft an den Peripherien der Städten liegen. Gut, dass viele Menschen erkannt haben, dass neu nicht immer besser ist. Und gut, dass ich auf dem letzten Flohmarkt eine Heugabel gefunden habe, mit der ich dem nächsten Sperrmüllmuffel nun Gegenwehr bieten kann. Es lebe das Abenteuer Müllsammeln!

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