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Zeitloser Raum. Fünf Tage und Nächte in der Transsib

Es gibt für mich keinen typischeren Klang in Sibirien als die durch die dunkle Nachtluft der Bahnhöfe hallende Frauenstimme der Lautsprecherdurchsagen. Es klingt gespenstisch verzerrt, wie eine Funksstimme aus dem All. Der Nachhall ist so zeitvezögert, dass sie sich mit ihrem eigenen Doppelklang überlagert. Kaum kann man die Worte verstehen, die diese mechanische Geräuschkette bilden. Ich sowieso nicht, mit meinen wenigen russischen Sprachfetzen.

Zwei Monate war ich in Sibirien. Ich bin durch Landschaften und Orte gereist und manchmal hier und da für eine längere intensive Weile irgendwo angekommen. Als freischaffende Künstlerin war ich in einer äußerst vage definierten Mischungsmission aus Urlaub, Arbeit und Abenteuer unterwegs. Vielleicht war ich auch auf einer tieferen Suche nach etwas, von dem ich aber, wenn, nicht wusste, was es war.

Zwischen Novosibirsk, dem Baikalsee, einer Kleinstadt namens Tynda, Jakutsk und Moskau – alles per Zug oder Auto – habe ich Vieles gefunden, was ich nicht erwartet hatte und Vieles, wonach ich auf der Suche gewesen war, nicht finden können. Statt Camping, Wanderungen und Abenteuer in wilder Natur war diese Reise vor allem geprägt durch Begegnungen. Ich habe menschliche Schätze gefunden und so nah kennenlernen dürfen, dass sie mein Leben nachhaltig bereichern werden und daneben viele weitere äußerst spannende – positive wie negative – zwischenmenschliche Erfahrungen gesammelt. Und nicht zuletzt habe ich mich selbst wieder einmal ein Stück besser kennengelernt.

Nun sitze ich im Zug nach Hause. Ich habe ein „Rückfahrticket am Stück“ gebucht – ohne die vielen Stops, über die ich mich vorher langsam von Ort zu Ort gehangelt habe Jetzt fahre ich von Tynda, etwa 1500 Kilometer östlich des Baikalsees, direkt nach Moskau. Fünf Tage und Nächte im Zug. Und weil Menschen immer mit Begeistung in der Stimme und mit diesem Augenleuchten aus Faszination über das Unbekannte fragen: Ja, es ist die Transsibirische Eisenbahn. Aber das Bild, diese milchige Vorstellung von diesem wilden, fernen, misteriösen von Abenteuern durchsähten Sibirien, das wir hier in Europa haben, ist in Wirklichkeit viel unspektakulärer als es in den meisten Köpfen gemalt wird.

Entschuldigung, ich muss desillusionieren: Die legendäre „Transsibirische Eisenbahn“ ist nicht ein bestimmter Luxuszug der auf einer ausgewählten Strecke durch die traumhaftesten Landschaften von Europa bis an das Japanische Meer fährt, während man als entspannter Passagier in hübsch hergerichteten Waggons von immerlächelnden Zugbegleiterinnen betüdelt wird. Nein.

„Die“ Transsibirische Eisenbahn gibt es eigentlich gar nicht. Das russlandweite Eisenbahnunternehmen heißt RZD und auf dem erst seit wenigen Jahren durchgängig verlaufenden Schienenstrang quer durch Russland fahren etliche ganz ordinäre Züge, die Orte und Menschen zweckmäßig miteinander verbinden. Diese Bahnstrecke bindet Menschen an den entlegendsten Orten, zu denen es häufig nicht einmal Straßenverbindungen gibt, an den Rest der Welt an. Diese Menschen sind auf sie angewiesen und sie nutzen sie für alle möglichen alltäglichen Anliegen: Den Bruder im drei Tagesreisen entfernten Dorf besuchen, zur Untersuchung in das sechs Stunden entfernte Krankenhaus oder nach den Ferien bei der Familie zurück in eine westrussische Großstadt zur Uni fahren.

Natürlich gibt es sie auch, diese vorher bei einer Reiseagentur gebuchten Luxuszüge, die einzig für und mit Touristen unter dem Titel „Von Moskau bis Vladivostock“ durch das Land fahren und es mag sein, dass die Konduktorinnen in ihnen wirklich außergewöhnlich viel gute Laune haben (vielleicht weil sie hoffentlich gut bezahlt werden, denn diese organisierten Reisen mit der Transsib sind höllisch teuer!). Meistens aber fährt man mit einem der vielen Züge ganz schlicht von einem Ort zum nächsten. Man kauft unkompliziert ein billiges Ticket an einem Bahnhofsschalter von dem die Farbschichten abblättern und sitzt dann in einem menschengefüllten, heißen Waggon der dritten Klasse, in dem Kinder schreien, die Leute Räucherfisch und eingelegte Gurken essen und unter den Sitzbänken immer noch eine Flasche Vodka versteckt haben, die sie fröhlich mit ihren Konsorten trinken. Die Zugbegleiterinnen sind meistens tatsächlich sehr nett und ein spannendes Erlebnis ist so eine Fahrt allemal. Aber fünf Tage sind eine verdammt lange Zeit.

Ich war gespannt auf die Fahrt. Am meisten darauf, wie sich fünf Tage mit so wenig Abwechslung anfühlen. Leider – entschuldigung, ich muss wieder desillusionieren – kann ich die landschaftliche Vorstellung, die wohl die Meisten (inklusive mir, vor dieser Reise) von Sibirien haben, nicht bestätigen. Es gibt sie wohl, die vielen unendlich abwechslungsreichen und wunderschönen Naturformationen. Nur ist Sibirien eben auch ein sehr, sehr großer Landstrich. So groß wie Europa. Daher vollzieht sich die Variation unglaublich schleppend, sofern man sie auf seinem Strekenabschnitt überhaupt erfährt. Denn viele der außergewöhnlichen Landschaften Sibiriens sind leider so weit entfernt und so schwer zu erreichen, dass sie einem gewöhnlich Reisenden komplett verwehrt bleiben. – Die sagenumwobene, kahle Tundra des hohen Nordens, die majestätischen Vulkane Kamchatkas, die gigantischen Wasserfälle und beeindruckenden Berge des Altaigebirges – alles schrecklich weit weg und schrecklich teuer zu organisieren.

Allermeistens ist Sibirien daher vor allem eins: Wald, Wald, Wald und Wald! Endlose Kiefern-, Lärchen- und Birkenwälder. (In die sich manchmal auch eine einzelne Pappel oder Tanne verirrt hat.) Man verzweifelt bei dem Versuch, sich ihre Endlosigkeit nur vorzustellen. In manchen Gegenden wirkt es, als sei Sibirien der Geburtsort aller Birken. Als wären die paar Birken, die uns in Europa ab und an den Weg kreuzen, einst von hier aufgebrochen um der Eintönigkeit ihresgleichen zu entfliehen die große weite Welt zu sehen, an einem fernen Ort zu wurzeln und dort ihr Glück zu finden.

Und so zauberhaft die Ursprünglichkeit dieser wilden Landschaft auch ist – eine derartig flächenriesige landschaftliche Gleichförmigkeit, wie sie sich auf einem langen Teil der Transsib-Strecke mit beharrlicher Penetranz in Auge, Kopf und Herz des Bahnreisenden meißelt, ist mir noch nie zuvor begegnet!

In dem 3.Klasse-Waggon mit offenen Abteilen habe ich eine gemütliche Pritsche, die sich tagsüber in einen Tisch mit zwei Sitzen verwandeln lässt. Außerdem fünfzehn aufgedrehte Männer um mich herum, die laut und fröhlich trinkend in ihren Urlaub fahren. Zwei Monate arbeiten – irgendwo am Ende der Welt bei einer Firma die irgendeinen Rohstoff aus dem Boden buddelt –, einen Monat Urlaub Zuhause bei Frau und Kindern. So leben viele hier in Sibirien.

Anfangs, als die Männer noch meinten in mir als alleinreisende Frau aus Deutschland ein gutes Spielzeug gefunden zu haben, war es sehr anstrengend. Aufmerksamkeitsmittelpunkt einer Horde trinkender Männer zu sein, ist immer nervig. Vor allem aber, wenn man kaum eine gemeinsame Sprache beherrscht. Man kann weder mitflachsen, noch doofe Sprüche souverän abwehren, noch ausreichend Informationen austauschen um ein interessantes Gespräch aufzubauen. So bleibt oft nur ein einseitiges vollgelabert-Werden vom süßem Dunst der Vodkafahne. Aber schon mit dem ersten Kater am zweiten Tag werde ich für die Gruppe uninteressanter. Ich verbringe viel Zeit mit Ausgucken und Nichtstun. Manchmal schreibe ich ein bisschen.

Entlang der Transsibirischen Einsenbahnstrecke riecht es durchweg nach gesägtem Holz, Diesel, Braunkohle und dem wunderbaren Parfum der Zugbegleiterin. Alle kurze Weile treffen wir einen entgegenkommenden Güterzug, denn der massige Rohstoffabtransport geschieht hier fast ausschließlich per Eisenbahn. Manchmal riecht es auch kurz und streng nach Fleisch, wenn die Abteilgefährten ihren – sicherlich hausgemachten – Proviant aus der Plastiktüte holen, mit einem riesigen Messer zerteilen und unter melodischem Gebrabbel schmatzend zum Chai verzehren. Ich knabbere tütenweise Zemetschkis – geröstete Sonnenblumenkerne, von denen ich glaube, dass sie sind einzig und allein für sibirische Bahnfahrten erfunden worden sind. Die Mischung aus Beschäftigtsein damit sie aus der Schale zu friemeln und kontinuierlicher, aber winzig portionierter Nährstoffaufnahme macht sie zum perfekten Reisegebleiter. Perfekt um Zeit rumzubringen.

Hohe Wichtigkeit hat im Zug „der Plan“ – ein laminierter Zettel, auf dem jeder Halt, den der Zug macht, eingetragen ist. Vor allem die Raucher studieren ihn mit großer Sorgfalt. Denn auch in Russland sind die Rauchergesetze in den letzten Jahren immer strenger geworden. Unsere netten Zugbegleiter Natalya und Denis, die sich mit Tag- und Nachtschicht abwechseln, den Boden fegen, die Toiletten sauberhalten und vor Bahnhöfen verschließen, Bettwäsche verteilen, mit den Passagieren scherzen und ihre Fragen beantworten, lassen uns zwar manchmal auch bei den 2-minütigen Stops heimlich aus der offenen Tür eine schnelle Zigarette rauchen. Aber einen längeren, würdigen Stop zum Beine vertreten, Rauchen und Essen kaufen gibt es nur alle 3-8 Stunden.

Es gibt eine geheime Raucherkammer in dem lärmenden Zwischenraum, wo zwei Waggons unter wackeligen Metallboden aneinanderdocken, die mich, wenn ich beobachte wie regelmäßig Menschen darin verschwinden und irgendwann wieder auftauchen, an die Disapparierkammern aus Harry Potter erinnern. Doch ich traue mich nicht, sie zu benutzen. Nicht, weil ich Angst habe mich plötzlich in der Nocturngasse wiederzufinden, sondern weil streng schauende Polizisten regelmäßig den Zug patroullieren und Passagiere, die Rauchen oder Trinken, hochnehmen und Strafe zahlen lassen.

Der heilige Plan hängt am Anfang des Waggons, zwischen dem Kabuff der Zugbegleiter und dem Samowar, aus dem man rund um die Uhr kostenlos heißes Wasser für Tee oder Tütensuppen zapfen kann. Auf diesem Plan steht der Name jeden Bahnhofs an dem gehalten wird, dahinter die dortige Aufenthaltsdauer in Minuten (von 1 bis 140 ist alles dabei) sowie die Ankunfts- und Abfahrtszeit in Moskau-Zeit. Die Moskau-Zeit…

Russland streckt sich über elf Zeitzonen. Sechs davon überfahre ich auf meiner fünftägigen Reise. Alle Uhrzeiten, die mit der Bahn zu tun haben, werden stets in Moskau-Zeit angegeben, um Verwirrungen zu vermeiden. Zusätzlich wird auf Tickets und an Bahnhöfen aber auch die „Miesta“-Zeit verwendet, die Ortszeit. Nachdem ich – immer weiter westwärts reisend – die ersten Zeitzonen ohne geistige Probleme überquert habe und mein Handy dabei stets auf den „aktuellen Stand der Zeit“ bringen konnte, bin ich nach der dritten oder vierten Umstellung irgendwann doch vollkommen verwirrt. Wenn ich nun wieder eine Stunde zurückstelle, wieviele Stunden muss ich danach dann noch auf die auf dem Plan angegebene Moskau-Zeit draufrechnen um zu wissen, wann wir halten? Was eine ganze Zeit lang in meinem Kopf gut funktioniert hat, blockiert jetzt total.

Erst am letzten Tag unserer Reise, an dem wir unter zunehmendem Tempo bei weniger Stops ganze drei Zeitzonen überfahren und auch die landschaftliche Veränderung sowie die Dichte der Zivilisation entlang der Bahnstrecke rasant ansteigt, komme ich dahinter, das die Zeit die mein Handy anzeigt, eigentlich vollkommen egal ist. Ich hätte mein Handy genauso gut auf den anfänglichen Moskau +6 Stunden lassen und weiterhin damit rechnen können. Dann wäre es zwar irgendwann abends wirklich früh dunkel gewesen, aber einfacher.

Denn der Zug, in dem wir alle uns befinden, ist sogesehen ein zeitloser Raum. Er bewegt sich durch menschgemachte Zonen der Zeit, die nur an den Bahnhöfen existieren die wir passieren, die nur im Kontakt mit der Außenwelt überhaupt erst „real“ werden. (Sofern man bei der Zeit überhaupt von einer „Realität“ zu sprechen wagt…) Ich weiß nicht, ob es die Theorie der Transzendenz oder die des radikalen Konstruktivismus ist, die ich da gerade verstanden habe, weil ich mich mit meinem eigenen Körper in ihr bewege. Ich weiß, dass mir die meisten Theorien zu kompliziert sind, aber dass mich diese Fahrt in der Transsibirischen Eisenbahn zu einem ganz neuem Empfinden von Zeit und Distanz geführt hat.

Nach fünf Tagen durch siebentausend Kilometer, deren landschaftliche Vielfalt mit der Strecke Oldenburg – Hildesheim vergleichbar ist, auf einem Radius von 20 Quadratmetern, dessen Abwechslungsspektrum nicht mehr als Sitzen oder auf dem Gang stehen, Essen oder Nichtessen, Wachsein oder Schlafen beinhaltet, hat irgendwann nichts mehr einen Anfang oder ein Ende. Alles geht ineinander über, verschwimmt, wie ein Richter-Gemälde, wie die vorbeiziehenden, endlosen Baumstämme. Zeit fühlt sich nichtexistent an.

Die Männer gegenüber schauen Prison Break auf Russisch in Endlosschleife und die meisten ihrer Stimmen kann ich inzwischen im Dösen mit geschlossenen Augen zuordnen. Alle kurze Weile überqueren wir einen weiteren glasklaren Fluss von den Ausmaßen des Rheins, ein Bahnhof sieht aus wie der nächste und eine einzelne Stunde ist nur noch ein Witz von Zeit, der mit dem nächsten Schmunzeln schon vergangen ist.

Ich scheine zu verschmelzen, mit der Zeit, die ich nicht mehr fühle, mit dem Drumherum, dass mir so bekannt geworden ist, dass ich es kaum noch wahrnehme und mit einem Ort, an dem ich nicht mehr bin. Zeit und Raum haben sich in Bewegung verwandelt. Pure, stetige Bewegung. Auch in mir. Meine Gedanken reisen mir vorraus nach Hause, wo so vieles auf mich wartet. Und ich bin voll von so viel Neuem, was ich dorthin mitnehme.

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Abschied von einem Freund.

Mein geliebter Aquarellkasten,

Heute ist der Tag gekommen, an dem ich dich mit blutendem Herzen und schwerem Gemüt zurücklasse. Drei deiner wichtigsten Farben sind leer und es ist nun an der Zeit, dich durch einen – immerhin auch russischen – Nachfolger zu ersetzen. Wie du weißt, ist dies ein furchtbar wehmütiger Augenblick für mich. Aber für alle außer uns beide ist es vermutlich schwer nachzuvollziehen, wie du mir so wichtig hast werden können.

Weißt du noch?  Vor ziemlich genau 4 Jahren habe ich dich für 30 Som (0,50€) in einem winzigen Magazin in Baetov, Kirgistan, gekauft. Weil mir deine stiftförmigen „Aquarell“brüder nicht mehr gereicht haben, um mich auszudrücken. Ich wollte weiter! Wenige Tage später habe ich dann mein erstes Bild mit deinen Farben (und chinesischen Kosmetikpinseln) im schneidenden Wind von der umwerfend schönen Song-Kul-Hochebene, ihren Bergen und Jurten gemalt.

Dieses Bild war nicht nur mein erstes richtiges Aquarell (und ist später sogar Motiv meiner Visitenkarte und Markenzeichen geworden). Als es fertig war, habe ich es in der untergehenden Bergsonne lange betrachtet. Und das war der Moment, in dem ich einen für mein Leben bedeutsamen Entschluss gefasst habe. Den Entschluss, endlich den Traum wahr zu machen, der schon seit meinen Kindertagen, trotz diverser Ablehnungen an Kunsthochschulen und einem darauffolgenden ganz anderen Studium, nie aufgehört hat in mir zu brodeln. In jenem Moment, mit DIR auf meinem Schoß, habe ich unumstößlich beschlossen: ICH WERDE KÜNSTLERIN! Koste es was es wolle.

Dieser Entschluss liegt nun vier Jahre zurück. Und inzwischen gibt mir mein Umfeld das Gefühl, mich zu Recht Künstlerin ohne Anführungsstriche zu nennen. Ich darf in der Künstlersozialkasse sein, habe einige Ausstellugen gemacht, bekomme Aufträge und verdiene sogar tatsächlich einen Teil meines Unterhalts durch die bildliche Kunst, an die ich durch dich zum ersten Mal WIRKLICH geglaubt habe. Ja, mit dir – und vielleicht nur durch dich – bin ich zur Künstlerin geworden! Du warst ein wichtiges Puzzleteil, das zum Bild meiner jetzigen Identität beigetragen hat.

Die zu verwirklichen hat mich tatsächlich einiges gekostet. Meinen „gesunden“, als „normal“ betrachteten Rhythmus und Lebensstil, der mich von einem Großteil meines sozialen Umfelds distanziert, bedeutsame zwischenmenschliche Beziehungen die kaputtgingen und immer wieder viel, viel Kraft, Hadern, Zweifel und Leiden. Was wohl alles zum Künstlerdasein dazugehört…. Du weißt, das es weiß Gott nicht immer einfach ist. Aber meistens wunderschön und oft ertrinke ich sogar fast in Dankbarkeit über dieses Dasein. DU hast alle dieser Stimmungen kennengelernt…

Vier Jahre lang habe ich dich benutzt und du hast mich immer treu begleitet. Durch Tiefen und Höhen, Freizeit und Arbeit, durch meinen Alltag und meine Reisen. Durch viele Orte Deutschlands, Schottlands, Englands, durch Ungarn und sogar bis in den Fernen Osten Sibiriens! Viele Menschen konnte ich mit Bildern erfreuen, die durch dich entstanden sind. Und wie oft hast DU MICH erfreut! Hast mir das Gefühl gegeben, nicht einsam zu sein, jemanden bei mir zu haben, der mich kennt, der mich wortlos versteht. Und du hast mir das Gefühl gegeben JEMAND zu sein. Jemand, der inzwischen nicht mehr ganz so verloren in der Welt ist, sondern einen Platz darin gefunden hat. Durch dich. Denn du hast mir stets Selbstvertrauen gegeben und Sicherheit. Was du mit meinem Leben gemacht hast, ist unglaublich!

Ich werde dich nie vergessen und dir für immer dankbar sein, du kleines kirgisisches Stück Plastik.

Tradition vs. die Vereinheitlichung der Welt

Es ist erstaunlich, wie sich das weit und immer weiter weg Sein hier, in Sibirien, (fast) nur noch in Bahnstunden, Ticketpreisen und Zeitzonen manifestiert. Kulturell könnte ich immernoch in Polen sein. Oder Weißrussland. Oder Moskau. Oder Novosibirsk.

Man erwartet, dass, je weiter man sich von Zuhause entfernt, die kulturelle Andersartigkeit zunimmt. In Russland aber, dem Land dass größer und ferner reicht als jedes andere Land unserer Erde, das sich über 9 Zeitzonen und zwei gigantische Kontinente erstreckt, stimmt diese Theorie nicht.

Abgesehen von ein paar mehr asiatisch aussehenden Menschen (Man entschuldige bitte an dieser Stelle meine politische Inkorrektheit. Beim Reisen in der Fremde gehört die Wahrnehmung „so und so aussehender oder klingender“ Menschen zu meinen einzigen Orientierungspunkten.), ein bisschen mehr chinesischem Tee, ein paar wenigen goldenen Stupas und einer Namens- sowie Größenveränderung der Pel`meni ist es hier, im burjatischen Ulan-Ude (5640 Kilometer auf der Transsib von Moskau), wie in Novosibirsk. Und abgesehen von ein bisschen mehr – ok, viel mehr – Wald auf den Bergen, ist es hier auch wie in Kirgistan (ehemaligen Sowietunion). Und abgesehen von den Dingen, die hier augenscheinlich anders sind als Zuhause, ist es hier auch wie überall.

Moderne Großbauten sehen heute weltweit ähnlich aus, überall laufen im Radio dieselben englischen Lieder und coole Kids sehen in Sibirien aus wie in Bangkok, wie in England, wie in Budapest, wie in Hamburg. Das alles hat nichts einzigartiges mehr.

Ich frage mich, wie 17-jährige Punk-Kids vor 100 Jahren in Ulan-Ude ausgesehen haben, bevor sie Gwen Stefani und Tokio Hotel im Fernsehen gesehen haben. Hatten sie neonbeschnürte Fellstiefel statt Chucks? Wie hat ihre Rebellion gegen Traditionen damals ausgesehen, bevor es einen medial verbreiteten internationalen Einheits-Codex für „cool“ und „modern“ gab?

Eigentlich finde ich es schade, dass die Welt immer mehr zusammenwächst. Ja, es macht vieles einfacher. Und vieles bunter, auf der einen Seite. Aber paradoxerweise auch vieles eintöniger, auf der anderen.

Ich sehe 20-jährige Burjatinnen mit ebenso „ash-blondierten“ Haaren, wie man es in London trägt und kaum mehr eine junge Frau in Deutschland ohne bunte Nike-Sneakers, die uns aus den USA zugespielt wurden. Ich sehe 14-Jährige auf den Philippinen Adidas-Thirts und Frauen in Mumbai Jeans mit Chanel-Taschen tragen, statt der farbenfrohen Gewänder ihrer Mütter.  Ich sehe gigantische Glasspiegelbauten aus saudischem Wüstenboden sprießen, Häuser, die in Frankreich oder Singapur entworfen wurden und die so überall stehen könnten. (Ich habe ein neues Ratespiel: Ich zeige dir die Luftaufnahme einer Großstadt und du rätst, welche es ist. Es ist – ohne die umliegende Landschaft zu sehen – fast unmöglich geworden!) Ich sehe Werbeanzeigen chinesischer Großunternehmen weltweit das Verhalten von Menschen beeinflussen und amerikanische Poptrends ihr Aussehen bestimmen. Und das Internet beschleunigt all diese Entwicklungen.

Wo früher per Schiff, Pferd oder Kamel Wissen langsam von Land zu Land weitergetragen wurde – von technischen Errungenschaften, Lebensmitteln und -weisen – transportieren soziale Medien heute in Echtzeit, wie man sich zu kleiden hat, was „hip“ ist, was „geht“ und was alles möglich ist. Trends, wie aufgerissene-Knie-Jeans, Undercuts, McDonalds, Tablets und Billigairlines verbreiten sich heute innerhalb kürzester Zeit an allen Enden der Welt. Und was an traditionellen Lebensweisen übrig ist, wird meist nur noch von der älteren Generation gelebt – bunte Klamotten, Kochkünste, kulturelle Besonderheiten. Die jüngere Generation hingegen vereinheitlicht immer mehr. Skinnyjeans, Smartphone, Sushi, Skyscraper. Everywhere.

Doch was wäre so schlimm daran, wenn wir weiter unsere Häuser im selben, regionalen Stil bauten? Wenn wir weiter Schlager hörten, Trachten trügen, nicht weltweit Burgerking, Pizza und Bananen äßen, sondern eben das, was es vor Ort gibt? Wenn wir aufhören würden, alles was „Tradition“ hat, als „uncool“ zu bewerten, sondern mit Stolz als Teil unserer regionalen, ganz besonderen Identität trügen, statt uns immer weiter in die Austauschbarkeit des internationalen „chick“ einreihen zu wollen? Dann würde die Welt im Ganzen doch viel spannender bleiben?

Was wird mit den Traditionen passieren, mit all der kulturellen Vielfalt, wenn die ältere Generation irgendwann ausstirbt? Wenn niemand mehr weiß, wie man Pel`meni zubereitet oder Semmelknödel, wie man Butter stampft, Natur-Balken-Häuser baut, Plattdeutsch spricht oder einen burjatischen Volkstanz tanzt? Wenn alle nur noch wissen, wie man in einem Supermarkt mit EC-Karte bezahlt und witzige Videos auf youtube guckt?

Werden wir zwangsläufig irgendwann rund um den Globus zu einer einzigen einheitlichen Menschenmasse? Mit denselben Klamotten, Speisen, Baustilen, Idealen, Lebensformen, und wenn, höchstens noch minimalen regionalen Unterschieden aufgrund von Klima, religiösen oder kulturellen Werten?

Ist das der natürliche Lauf der Menschheit? Und ist das sinnvoll und erstrebenswert? Bin ich nur altmodisch und perssimistisch?  Werden manche positive Unterschiede zwischen den Kulturen uns immer erhalten bleiben oder befindet sich die Vielfalt der Spezies Mensch, so im Ganzen, wirklich in einer ernstzunehmenden Gefahr? Und wenn ja, sollten wir gegenwirken? Oder einfach mitmachen und gucken, was daraus wird?

So oder so finde ich ja, McDonalds zu boykottieren, Smartphones und Lochknie-Jeans zu verweigern sind sinnvolle Handlungen. Aber die wenigsten von uns werden heute, egal wo, da es nun mal viele andere Optionen gibt, Lust haben, dieselbe Kleidung wie ihre Großeltern zu tragen und stundenlang alte Rezepte zu kochen. Und selbst dadurch würden wir, fürchte ich, die Vereinheitlichung der Welt nicht aufhalten können.